Filmmusik aus Gmünd

Mick Baumeister komponiert Filmmusik, er lebt und arbeitet in Schwäbisch Gmünd. Ein Besuch. 

Von Verena Teuber

Verena Teuber (Abitur 2013)   nahm am Projekt „Jugend schreibt“ der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ) teil.

„Eigentlich sollten wir gleich ins Café Bühr am Marktplatz gehen, um zu wissen, wie ein Komponist so arbeitet“, begrüßt Mick Baumeister lächelnd, als er die Tür zu seinem Reich öffnet. Mitten im Fußgängerbereich der Altstadt von Schwäbisch Gmünd befindet sich sein Studio, in dem er, wenn er nicht gerade in seiner Zweitwohnung in Berlin residiert, zuhause ist. „music for films“ kann man  auf dem Klingelschildchen lesen, das so klein ist, dass es ein normaler Passant  übersieht. Durch ein stockdusteres Treppenhaus geht es an einem Kinderwagen und diversen Plastiktüten vorbei nach oben in den zweiten Stock, wo der eher kleine Mick Baumeister in einer grauen Sweatjacke, mit schulterlangen, braun-grauen Haaren und einer großen schwarzrandigen Brille auf der Nase in der Tür zu seinem Allerheiligsten steht.

Der nur schwach beleuchtete Flur wartet mit einer  mit Goldfarbe angemalten Wand auf, wenn man durch die nächste Tür blickt, kann man ein riesiges Mischpult, zwei Keyboards, zwei Computer und einen großen Flatscreen zum Anschauen der Filmszenen, die mit Musik belebt werden müssen, erkennen. Im weiterführenden, mit einem kräftigen Türkis gestrichenen Raum, der auch als Wohnzimmer dient, steht außerdem eine Art riesiger weißer Schrank, in dem diverse Computer untergebracht sind – das Serverzentrum.

Wenn ich eine Person im Film sehe, fällt mir oft spontan eine Melodie zu ihr ein.

„Das hier ist das modernste Studio in ganz Deutschland“, erklärt Baumeister stolz. „Außer der Dielenboden, der ist noch von 1511.“ In den vier Wänden der kleinen Altbauwohnung verbringt er den Hauptteil seiner Zeit. „Dass ich bis zu 18 Stunden am Tag arbeite, ist normal.“ Dabei legt er seine selbstgedrehten Zigaretten eigentlich nur aus der Hand, um einen Schluck Tee zu trinken, den er sich regelmäßig nachgießt, oder um Klavier zu spielen. 428 Filme hat der 53-jährige Baumeister bereits vertont, darunter alle Folgen der ARD-Serie „Mord in bester Gesellschaft“, die beiden Kinofilme „Krücke“ und  „Der zehnte Sommer“, sowie einige Folgen des „Tatorts“ und „Ein Fall für Zwei“. 

„Sehr gerne hätte ich auch „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg vertont, da mir das Thema des Films sehr gefällt. Jedoch hatte ich mit „Krücke“ einen Film mit ähnlicher Thematik zu vertonen“, überlegt er. 

Natürlich muss man auch in diesem Job mit Kritik umgehen können. „Manchmal haben die Regisseure und die Produzenten schon eine ganz genaue Vorstellung, wie sich die Musik zum Film anhören soll. Da kann es durchaus mal vorkommen, dass sie meine Kompositionen  nicht für passend halten. Oder es gefällt ihnen schlichtweg nicht. Dann muss ich mich eben nochmal hinsetzen und neue Musiken schreiben“, erklärt Baumeister ganz sachlich.Das wichtigste beim Komponieren einer guten Filmmusik sei, dass man sich in die Personen und in die Handlung des Films hineinversetzen könne. „Wenn ich eine Person im Film sehe, fällt mir oft spontan eine Melodie zu ihr ein. Jedoch darf die Musik nicht auf sich selbst, sondern auf den Film und die Schauspieler aufmerksam machen“, erklärt Baumeister, seine Worte, wie so oft, mit lebhafter Gestik unterstreichend. „Viele Komponisten nutzen den Film, um sich selbst und ihre eigenen Probleme darzustellen, das ist  komplett falsch“, empört er sich. Sein neuestes Projekt, das er soeben abgeschlossen hat, ist die Vertonung des Films „Lebe dein Leben“, in dem Howard Carpendale erstmals als Schauspieler mitwirkt und der am 24. Februar 2012 um 20.15 Uhr im ARD zu sehen sein wird. „Wie bei vielen Filmen war es hier extrem wichtig, Musik zu schreiben, die berührt, aber auf keinen Fall kitschig ist“, sagt Baumeister. Sich bewerben, anbieten, oder „Klinken putzen“ muss Baumeister nicht mehr. „Ich habe in meiner Musik eine gewisse Handschrift. Wenn diese einem Produzenten gefällt – neuerdings suchen die meist die Komponisten aus, früher machten das die Regisseure – ruft der mich an und fragt, ob ich Zeit und Lust hätte einen Film zu machen.“

Der gebürtige Gmünder komponiert Stücke, die  ein komplettes Orchester benötigen, um vertont zu werden. „Um ein einigermaßen gutes Orchester zu finanzieren, reicht allerdings in aller Regel das Budget nicht aus. Aber Gott sei Dank habe ich ja etwas, mit dem ich ein Orchester naturgetreu nachbilden kann“, lacht Baumeister. Mit seiner sogenannten „Sample–Workstation“ kann er jedes beliebiges Instrument mit seinem Keyboard einspielen. Um die Dynamik, die Klangfarbe, den Bogenstrich und sonstige Eigenschaften des jeweiligen Instrument zu beeinflussen, benötigt er einen sogenannten „Breath controler“. 

Dieser sieht eigentlich aus wie ein Headset, mit dem kleinen Unterschied, dass kein Mikrofon vor dem Mund herumbaumelt, sondern dass es an dieser Stelle eine Art flaches Röhrchen gibt, das man in den Mund nehmen muss. „Mit dem Keyboard spiele ich die entsprechenden Noten mit dem gewünschten Instrument, das ich zuvor aus meinen „Orchesterlibraries“ auswählen kann. Natürlich muss ich versuchen beispielsweise eine Gitarre auch wie eine Gitarre klingen zu lassen, auch wenn ich sie mit dem Keyboard einspiele“, erklärt Baumeister, der außer Klavier auch Trompete, Kontrabass und Querflöte spielen kann. „Obwohl ich ja eigentlich am Keyboard sitze, bin ich in so einem Moment aber Gitarrist oder Cellist oder was auch immer.“, erklärt Baumeister, der am Keyboard sichtlich in seinem Element ist. Jedoch spielt er nicht komplett alles mithilfe der modernen Technik ein. Einzelne Instrumente sowie kleinere Orchestergruppierungen werden nach wie vor live eingespielt. Im Abspann sowie an fünf anderen Stellen seines aktuellen Films „Lebe dein Leben“ beispielsweise kommt ein Englischhorn als Soloinstrument zum Einsatz, das er von einer professionellen Oboistin einspielen ließ. „Es kam durchaus schon vor, dass ich Leute, die ihr Stück nicht beherrschten, wieder nachhause geschickt habe. Die gehen dann zwar heulend, aber ich mache keinerlei Kompromisse mehr, weder in solchen Situationen noch in anderen“, sagt Baumeister energisch. 

Zum Aufnehmen muss man ins Nebenzimmer gehen. Hier sind die Fenster, die Wände und die Decke mit schalldämmenden Materialien verkleidet, überall stehen Mikrofone herum, auf einem Notenständer liegen noch die Noten der Oboistin. Doch den Raum dominiert ein aufgeklappter Fazioli-Flügel, an dem sich Baumeister sofort niederlässt und ein paar Takte spielt. „Das Klavier war schon immer mein Refugium“, schwärmt Baumeister, der im Alter von neun Jahren von seinen Eltern ins Kloster gebracht wurde, da er einmal Pfarrer werden sollte. „Dort hab ich immer nur Klavier gespielt. Es hat mit mir gesprochen.“ 

Seine Fähigkeit, seine Gefühle und Gedanken in Musik zu verwandeln, war jedoch später an der Niedersächsischen Musikschule in Braunschweig gar nicht gern gesehen. „Ich war ein geächteter Schüler der Rektorin“, gibt Baumeister zu. „Sie konnte mit Improvisation nichts anfangen, dabei ist es doch gerade das, was einen Musiker ausmacht! Man muss das, was in einem ist, rauslassen.“ Deswegen sei er auch gottfroh, kein „abgefuckter“ Studiomusiker geworden zu sein, „auch wenn ich dann wohl mehr verdienen würde.“ 

Zu einer einmaligen Gage, die sich meist im kleinen fünfstelligen Bereich bewegt, kommen bei Filmmusik noch die Tantiemen hinzu. „Wenn man da zum Beispiel die Titelmusik einer bekannten Serie schreibt, ist das schon gut“, meint Baumeister. Er schrieb 1986) die Titelmusik, sowie Musik für 15 Folgen für „Die glückliche Familie“, die heute noch in 72 Ländern im TV-Programm zu finden ist. „Am meisten bekomme ich  durch die Tantiemen  aus Frankreich, da laufen viele Sachen von mir und sie bezahlen eben auch gut. Und das, obwohl ich die Franzosen eigentlich gar nicht so sehr mag“, grinst Mick Baumeister. „Na gut, eigentlich kenne ich ja nur Pariser, also mag ich vielleicht auch nur keine Pariser, aber die Arroganz die sie bisweilen an den Tag legen, gefällt mir ganz und gar nicht. Jedoch ist man bei denen  als Komponist der große Meister. In Italien auch, nur bezahlen wollen sie einen nicht.“ 

Ins Filmgeschäft kam Baumeister durch Jörg Grünler, seinen jetzigen Schwager. Der brauchte jemanden, der ihm die Musik zu einem Hörspiel komponierte. „Das haben dann andere Filmemacher gehört, die mich gut fanden und auch mit mir arbeiten wollten und danach wieder andere und so ging es dann weiter. Also ist es eigentlich Zufall, dass ich heute bin, wo ich bin. Allerdings war mir immer klar, dass ich gern Musik für Filme machen wollte“, erzählt Baumeister. Durch seine Filme kam der Vollblutmusiker , der schon seit 28 Jahren im Geschäft ist, ganz schön in der Gegend herum. Die weiteste Reise ging nach Bali, aber auch im näheren Ausland wie Frankreich oder Italien  ist der Komponist immer mal wieder anzutreffen. Zusätzlich ist er  auch manchmal als kettenrauchender Pianist in Filmen zu finden. Abgehoben oder arrogant ist Mick Baumeister allerdings keine Spur: „In meiner Freizeit höre ich gerne klassische Musik, am liebsten Mahler und Bach, und versuche stets, von ihnen Neues zu lernen“

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