Ein Lernvertrag in Mathematik

Viel zu lernen und viele Referate: Juliane besucht das Landesgymnasium für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd und bringt sich Mathe selbst bei. Dafür hat sie einen Vertrag abgeschlossen.

Adrian Pippert (Abiturjahrgang 2014) nahm am Projekt „Jugend schreibt“ teil, die hier vorliegende Reportage erbrachte ihm den mit 1500 Euro dotierten ersten Preis beim "Magnesium-Preis", einem Reportagenwettbewerb der Agnes-von Hohenstaufenschule in Schwäbisch Gmünd.

Von Adrian Pippert

Eigentlich unterscheiden wir uns gar nicht in allzu vielen Dingen", sagt Juliane Weller, während sie über das Gelände der alten amerikanischen Militärkaserne schlendert. Sie besucht seit zweieinhalb Jahren das Landesgymnasium für Hochbegabte (LGH) in Schwäbisch Gmünd und wohnt mit rund 250 weiteren Schülern im Internat. "Dies hat viele Gründe und Vorteile", erklärt die stellvertretende Internatsleiterin Heidi Arnau. Der wohl wichtigste Grund: Die meisten Kinder wohnen viel zu weit weg. "Ein Zimmer kostet allerdings monatlich 350 Euro. Für Kinder, deren Eltern nicht so wohlhabend sind, gibt es Bafög", sagt Heidi Arnau. Es ist jedoch auch für Schüler aus der näheren Umgebung wie Juliane zweckmäßig, im Internat zu wohnen. Der größte Vorteil sei, dass man während der Hohlstunden die Möglichkeit habe, auf sein Zimmer zu gehen, erläutert Juliane. Jedoch gibt es noch mehr Gründe für die schlanke, 1,68 Meter große Schülerin, in der Schule zu bleiben, obwohl ihre Familie keine drei Kilometer entfernt wohnt. Zum einen ist es die Nähe zu ihren Freunden, zum anderen die ungleichmäßige Verteilung der Stunden. "Der Unterricht ist hier nicht so kompakt wie an meinem früheren Gymnasium, es gibt viel mehr Hohlstunden. Jedes zweite Wochenende hab ich sogar Samstagsunterricht. Aber nur eine einzige Doppelstunde." Trotzdem findet sie das Wochenende eindeutig zu kurz und freut sich immer auf das darauffolgende Wochenende: Das beginnt nämlich freitagmorgens. "Das ist echt toll, wenn man am Freitag durch die Stadt gehen kann, während in allen anderen Schulen gerade noch Unterricht ist", sagt sie, während sie das Schulgebäude betritt.

Drei Sieger vom Rosenstein-Gymnasium beim Reportagenwettbewerb

Aus ganz Baden-Württemberg gingen 166 Beiträge für den fünften Magnesium-Preis der Agnes-von-Hohenstaufen-Schule in Schwäbisch Gmünd ein. Zu den vorgegebenen Themenbereichen „Ernährung, Gesundheit und Soziales“ konnten Reportagen erstellt werden. Dabei gingen die drei ersten Plätze an Schülerinnen und Schüler des Rosenstein-Gymnasiums: Adrian Pippert (1. Platz, 1500 Euro), Anika Vogt (2. Platz, 500 Euro) und Madeleine Hudelmaier (3. Platz, 250 Euro). Alle drei Schüler hatten im Rahmen des Deutschunterrichts am Wettbewerb teilgenommen. Im Beisein von Landrat Klaus Pavel wurden Preisgelder in Höhe von 3000 Euro vergeben. Der Siegerbeitrag von Adrian Pippert wurde auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht.

"Insgesamt gesehen haben die Schüler des LGH weniger regulären Unterricht", sagt Catharine Gouriou, die Fremdsprachenkoordinatorin. Aber dafür haben sie oft Addita. Addita sind Aktivitäten, die über den normalen Unterricht hinausgehen, vergleichbar einer AG. Meistens haben die Addita aber ein höheres Niveau und sind anspruchsvoller. Beispiele hierfür sind Chemie, Chinesisch, Theater und Tanzen. "Die Auswahl an Addita war für mich und für viele andere viel zu groß, es gab so viele interessante Addita, dass ich gar nicht wusste, welche ich wählen sollte", sagt Simone Münch, eine Schülerin der 11. Klasse. "Manche Schüler müssen überhaupt nicht zum Unterricht in einem Fach kommen", sagt Juliane. Dies sei möglich, wenn man einen sogenannten Lernvertrag mit dem entsprechenden Lehrer abgeschlossen habe. Darin vereinbart man, dass man sich selbständig den nötigen Unterrichtsstoff beibringt. "Die Klausuren schreibt man dann natürlich zusammen mit allen anderen", sagt Juliane, die selbst einen Lernvertrag in Mathematik hat. Voraussetzung dafür war, dass sie in einer Klausur 15 Punkte hatte. Jedoch darf sie auch in den folgenden Klausuren nicht weniger als 12 Punkte haben, da sie sonst ihren Lernvertrag wieder verliert. "Es ist wesentlich schwerer, einen Lernvertrag zu bekommen, als ihn wieder zu verlieren", sagt sie und geht in den Raum, in dem sie Deutsch hat. Der Raum ist kleiner als die meisten Klassenzimmer. "Eine Klasse umfasst maximal 25 Schüler", sagt Catharine Gouriou.

Nach Julianes Meinung gibt es in der Oberstufe aus organisatorischer Sicht sonst keine großen Unterschiede zwischen dem LGH und einem normalen Gymnasium. Dies liegt auch daran, dass die Schüler dasselbe Zentralabitur wie die anderen schreiben und Kernfächer wählen müssen. Jedoch können die Schüler sechs statt fünf Fächer vierstündig wählen. "Ich hab Französisch, Wirtschaft, Biologie und Chemie vierstündig gewählt, Deutsch und Mathe sind wie auf jedem Gymnasium verpflichtend", erläutert Juliane. Allgemein bedeutet der Besuch des LGH, dass man viel lernen und viele Referate vorbereiten muss. "Eine der Grundvoraussetzungen, wenn man auf diese Schule kommen und bleiben will, ist die Bereitschaft, freiwillig zu lernen, man muss Spaß und Interesse am Thema und am Lernen haben", erklärt Christoph Sauer, der unter anderem Latein unterrichtet.

Dies bestätigt Juliane. Vor ihrem Wechsel hatte sie jede Woche fast ein ganzes Buch gelesen. Jetzt habe sie im Schuljahr nur drei Bücher gelesen. "Ich hab so gut wie keine Zeit mehr für mich allein", sagt sie. Das Doppelzimmer, in dem sie wohnt, ist etwa 20 Quadratmeter groß. Es gibt zwei Betten, zwei Schränke und zwei Schreibtische aus Holz. Auf dem Tisch stehen ein Notebook und ein paar Bücher. Über dem Bett hängt ein kleines Regal mit CDs, Büchern, Zeitschriften und einem Familienfoto. Eine Tür führt auf einen kleinen Balkon.

Juliane wohnt im Oberstufenhaus, das in ein Jungen- und ein Mädchen-Haus unterteilt ist. Die Häuser wiederum sind in Wohngemeinschaften eingeteilt. Jede Wohngemeinschaft besteht aus zehn Schülern, die von einem Mentor betreut werden, erklärt Heidi Arnau, die WG-Mentorin ist. Jede WG ist mit einer Wohnung vergleichbar. Es gibt eine kleine Küche sowie ein Wohnzimmer mit Fernseher. "Die Küche ist sehr praktisch, da man abends auch mal zusammen etwas kochen kann", sagt Juliane. Sie nimmt sich einen Apfel und setzt sich auf eines von zwei großen, roten Sofas im Wohnraum. "Hier kann man gut gemeinsam einen schönen Filmeabend verbringen", sagt Juliane vergnügt. Auch die Oberstufenschüler müssen bis 22 Uhr ihr Zimmer aufsuchen. Jedoch gibt es für sie keine Regeln, wann sie ins Bett gehen müssen, erklärt Heidi Arnau.

"Abends ist man meistens so müde, dass man auch ohne eine Regel ins Bett geht, am nächsten Morgen muss man ja wieder früh aufstehen", sagt Juliane. Die meisten würden so aufstehen, dass sie rechtzeitig beim Frühstück seien, das es von 7 bis 7.30 Uhr gibt. "Ich jedoch brauche morgens etwas zu essen", sagt sie. Morgens gibt es ein großes Büfett mit Brötchen, verschiedenen Müslisorten und Joghurt. Zu Mittag gibt es immer die Auswahl zwischen zwei Gerichten. "Das Essen in der Mensa ist echt gut", sagt Juliane. Außerdem gibt es mittags Kuchen und Kaffeestückchen und die Möglichkeit, sich einen Zwischenimbiss in der Mensa zu holen. Die Mensa liegt im unteren Stockwerk des zentralen Campusgebäudes. In der Mensa stehen überall weiße Tische, die in kleinen Reihen angeordnet sind. Gegenüber der Eingangstür befindet sich eine große Glasfront. "Der Raum wirkt so hell und freundlich", meint Juliane.

Obwohl Juliane nur noch wenig Freizeit hat, betreibt sie viele ihrer Hobbys weiter. Einmal die Woche nutzt sie den Fahrdienst der Schule, um zu ihrem Tanzunterricht zu kommen, außerdem spielt sie Volleyball im Verein. Hier sieht sie auch immer noch ihre alten Freunde aus ihrer vorigen Schule, dem Gmünder Scheffold-Gymnasium. Vor eineinhalb Jahren verließ sie die Schule, um auf das LGH zu wechseln. "Mir war langweilig", sagt sie. "Vor allem in Mathe war ich total unterfordert." Jedoch haben nicht die Lehrer sie dazu aufgefordert, auf eine andere Schule zu gehen. Sie hat sich selbst informiert und sich dann schriftlich beworben. Es folgte die Einladung zum Intelligenztest. Bei diesem wird man auf Hochbegabung getestet. Nur ungefähr zwei Prozent der Bevölkerung sind hochbegabt, der Durchschnitt liegt bei einem IQ von ungefähr 100. Als hochbegabt gilt man ab einem IQ von 130. "Meinen eigenen IQ verrate ich aber niemand", sagt Juliane mit einem leichten Grinsen im Gesicht. Sofern sich nach dem Test eine Eignung für das LGH ergibt, nimmt man an Projekttagen teil. In den Projekten muss man seine schulische Leistungsbereitschaft und seine Teamfähigkeit unter Beweis stellen. Auch die Schüler des LGH haben ein gewisses Mitspracherecht, ob der Bewerber aufgenommen wird oder nicht. Da Juliane allen Anforderungen entsprach, konnte sie nach der neunten Klasse wechseln.

Diese Entscheidung hat sie nicht bereut. "Mathe ist auf dem LGH wieder interessant für mich geworden." Auch habe man hier unvergleichlich mehr Möglichkeiten, das zu lernen, was einen interessiere. Natürlich vermisse man vor allem anfangs die Familie, aber das enge Zusammenleben mit den Freunden sei auch eine tolle Sache. Auch zu den Lehrern hat man durch das Zusammenleben ein viel engeres Verhältnis, was Juliane positiv findet.


© 2012 Rosenstein-Gymnasium Heubach / Zur Homepage des Rosenstein-Gymnasiums