Berlin Mitte, Behrenstraße 1B. In diesem Haus, dessen Fassade mit einer undefinierbaren Farbe, die irgendwo zwischen braun und grün liegt, verputzt ist, warten Kaffee und Kuchen. „Hochhuth“ ist an einem der Klingelschildchen zu lesen, der Weg führt zu einer Wohnung in der fünften Etage.
Von Verena Teuber
Verena Teuber (Abitur 2013) besuchte Rolf Hochhuth im Juli 2012.
In einem kleinen Flur findet die herzliche Begrüßung durch die zwei Assistentinnen statt, Dr. phil. Victoria Viererbe die ursprünglich aus Russland stammt und in Wolgograd Germanistik und Fremdsprachenphilologie studiert hat und Malgorzata Karafiol , die in Breslau Germanistik studierte. Jetzt erscheint auch der Gastgeber höchstpersönlich. Rolf Hochhuth, ein Mann, der wohl eine so polarisierende Wirkung hat, wie nur wenige andere.
Nahezu alle seine Werke spielen sich im Nazideutschland ab. An dem reichlich mit quietschbunten Donuts vollgestellten Wohnzimmertischchen mit Glasplatte, um das neun nicht zusammenpassende Stühle gestellt sind, um ausreichend Sitzgelegenheiten zu haben, fängt der 81-jährige auch schnell an, von seinem Lieblingsthema zu reden: Die Menschen, die von der Geschichte übergangen, ja sogar verleugnet wurden. Absoluter Favorit: Johann Georg Elser, der sein Attentat auf Hitler bereits 1938, also schon vor dem Krieg plante. Trotzdem ging er erst um 1989, also 50 Jahre nach dem Anschlag in die große Brockhaus-Enzyklopädie ein. Diese steht, neben einem gut gefüllten Ordner, der die Beschriftung „Georg Elser“ trägt und vielen weiteren Ordnern („Aphorismen – alles getippt“, „Adressbuch“, „Einschreiben“, „Briefe von R. H.“, „Bank“) sowie unzähligen anderen Büchern, von Hochhuth selbst oder von anderen Autoren, in einem schlichten, weißen Regal, auf dem oben ein Karton mit „Leserbriefen“ steht.
Überhaupt stehen und liegen Bücher, wohin das Auge auch fällt. Die beiden Schreibtische aus Holz sind unter der Bücherlast nur noch zu erahnen, das zweite, kleinere, ebenfalls weiße Regal im Zimmer, ist genauso randvoll mit Büchern. Zwischen den Büchern auf einem Schreibtisch wurden mit Müh und Not noch eine Erdbeertorte, eine Schwarzwälder Kirschtorte, eine Tüte Milch und eine Kanne Kaffee platziert. Auf dem anderen Schreibtisch steht eine in Leder gebundenen Ausgabe von Schillers Wilhelm Tell, was wiederum auf Elser zurückführt, bezeichnet Hochhuth diesen doch als „Tell der heutigen Zeit.“ Links neben diesem Tisch blickt der Meister höchstpersönlich von der Wand; dort ist ein Plakat, auf dem der Autor auf dem Fahrrad und mit der wie so oft lediglich über die Schulter geworfenen Jacke dargestellt ist, befestigt. „Rolf Hochhuth, Eine Liebe in Deutschland“ ist darauf zu lesen.
Damit es zu solchen erfolgreichen Werken kommen kann, ist jedoch auch Disziplin nötig. Jeden Tag schreibe er drei Stunden an seinen Notizen, die er dann „ins Reine diktiert“, wie der Weißhaarige erklärt. Denn am Computer, der in einer Art Erker steht, durch dessen Fenster man direkt auf das Hotel Adlon blickt, ist der Schulabbrecher und gelernte Buchdrucker nie anzutreffen. „Ich war mit 60 Jahren zu verhängt, um zu sehen, dass man dieses neue Instrument, den Computer, lernen muss. Jetzt ist es zu spät.“, meint Hochhuth. Deswegen hat er seine Assistentinnen, die das, was er diktiert, mit dem PC, der zwischen zahlreichen Notizen und – wie sollte es anders sein – Büchern steht, abtippen. „Obwohl sie eine Stange Geld kosten, bin ich froh, dass die Damen da sind, denn wenn sie es nicht wären, würde ich mittags vermutlich ein Mittagsschläfchen halten und nicht arbeiten“, lacht der bereits zum vierten Mal verheiratete Schriftsteller, der seine Krawatte nur trägt, weil diese „die Masse teilt“. „Außerdem bringen mich die beiden der Sprache der Enkelgeneration näher.“
Und mit dieser in steter Verbindung zu bleiben, ist dem inzwischen zweifachen Großvater und Vater dreier Söhne sehr wichtig. Seine Aufgabe als Opa definiert er folgendermaßen: Die lieben Kleinen verziehen, wo es geht. „Dafür sind Großeltern doch da!“, befindet der gebürtige Eschweger. Trotzdem blieb dem 81-jährigen ein großer Herzenswunsch verwehrt: eine Tochter. „1963 hätte ich eigentlich, als zweites Kind, eine Tochter bekommen sollen, doch ein Arzt in Basel hat leider nicht kapiert, was es mit dem Rhesusfaktor auf sich hat, weshalb sie dann verstarb“, erzählt Hochhuth bekümmert. Man merkt ihm an, dass er betrübt ist. Mit der Frau, die seine Tochter verlor, ist der Schriftsteller nicht mehr verheiratet, 2009 ehelichte er seine vierte Frau Johanna Binger, die eine kleine Buchhandlung am Wittenbergplatz in Berlin führt. „Ich bin jeden Tag bis um dreizehn Uhr in ihrer Wohnung, die gleich um die Ecke liegt, dann komme ich hierher, um zu arbeiten“, erklärt Hochhuth auf die Frage nach dem Tagesablauf eines freien Schriftstellers. Wenn er aus seinem Wohnzimmerfenster blickt, sieht der Autor geradewegs auf das Mahnmal, das zum Gedenken an die ermordeten Juden während des Zweiten Weltkrieges auffordert. Dass es solche Stätten gibt, findet Hochhuth richtig und wichtig. Denn wie auch schon Otto Flake, eines der größten Vorbilder Hochhuths sagte: „Weitergeben mag zuletzt der Sinn des Lebens sein.“