Zwei völlig überladene Schreibtische stehen an den Wänden des Zimmers, daneben eine bis ins kleinste Eck gefüllte Bücherwand. Man ist zu Besuch in Berlin bei einem der bekanntesten Schriftsteller Deutschlands: Rolf Hochhuth, der sich in seinen Büchern vor allem mit der Zeit des Nationalsozialismus befasst, lehnt in der Tür.
Von Juliane Aich
Juliane Aich (Abitur 2013) besuchte Rolf Hochhuth im Juli 2012.
Das Jackett hängt Hochhuth locker über der Schulter. „Das trage ich doch sowieso nur aus Höflichkeit“, erklärt er. Er lächelt die fünf Schülerinnen des Rosenstein-Gymnasiums Heubach gespannt an, die er mit Deutschlehrer Dr. Helmut Rössler eingeladen hat. Seine Assistentinnen, Dr. Victoria Viererbe und Dr. Malgorzata Karafiol, verteilen Kuchen. Die Sprachwissenschaftlerinnen helfen dem knapp 82-Jährigen, seine Romane, Essays, Dramen und Gedichte zu schreiben.
Von Hochhuths kleinen Wintergarten aus sieht man das Holocaust-Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. „Das Mahnmal muss man gesehen haben. Unsere Geschichte wird doch immer mehr vergessen.“ Der sich selbst als „freier Schriftsteller in Anführungszeichen“ bezeichnende Autor schreibt hauptsächlich Werke, die den Nationalsozialismus behandeln. Mit dem „Stellvertreter“ wurde Hochhuth berühmt, ein weiteres wichtiges Werk, das in Baden-Württemberg auf der Liste der möglichen Pflichtlektüren für die Oberstufe stand, war „Eine Liebe in Deutschland“, das die Liebesbeziehung eines polnischen Kriegsgefangenen zu einer Deutschen behandelt. Durch einen Vorabdruck in „Der Zeit“ entfachte Hochhuth die Diskussion um den „furchtbaren Richter“ Hans Filbinger, dessen Rolle als NS-Marinerichter dadurch einem breiten Publikum bekannt wurde – mitsamt fragwürdiger Urteile, die Filbinger verhängt hatte. Die Enthüllung seitens Hochhuths führte dazu, dass Filbinger sogar als baden- württembergischer Ministerpräsident zurücktreten musste.
Hochhuth erzählt: „Am Tag sehe ich manchmal 50 Busse zum Mahnmal fahren. Die wenigsten trauen sich aber, auch unter die Erde zu gehen.“ Die Schlange in den Untergrund ist lang. Ein Gewirr aus verschiedensten Sprachen ist zu hören. In Kleingruppen werden Personen in die Gedenkstätte eingelassen. Zuerst wird die Geschichte der Juden erläutert, dann sieht man in einem Raum ein Meer von auf dem Boden liegenden Platten, die an Gräber erinnern. Es herrscht Totenstille, Besucher sind vertieft in die Zeilen, die gestorbene Juden hinterlassen haben. Im nächsten Raum wird die systematische Vernichtung einzelner Familien dokumentiert. Im letzten Raum herrscht bedrückendes Schweigen. An telefonähnlichen Geräten kann man den Erzählungen Überlebender lauschen, die jede Demütigung bis ins Detail beschreiben. Die Schüler fordern Hochhuth auf, ihnen Berliner Orte aufzulisten, an denen man gewesen sein muss. „Wenn man sich sowieso schon mit der deutschen Geschichte befasst, lohnt es sich, in das jüdische Museum zu gehen“. Allein die Architektur sei bemerkenswert. Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte werden aus Sicht der jüdischen Minderheit erzählt. Hochhuth fordert vom Deutschland des 21. Jahrhunderts mehr geschichtsrelevante Bauwerke, denn „dieses Land war noch nie so reich wie heute“. Es lohnt sich, einen Abstecher zum Reichstag zu machen. Und: „Ihr müsst die Akropolis des Nordens besuchen.“ Für die Museumsinseln, die laut Hochhuth mit den Beutegeldern des Deutsch-Französischen Krieges 1870 bis 1871 finanziert wurden, solle man dankbar sein. Nicht nur Offenheit im Bezug auf unsere Kultur müsse man haben, sondern „multikulturell soll man in unserer Gesellschaft sein“. Eines von Hochhuths Zielen ist es, den Menschen Geschichte näher zu bringen. So wie in seinen Dramen, Essays und Romanen setzt sich der polarisierende Schriftsteller dafür ein, dass die Geschichte der Welt nicht in Vergessenheit gerät, sondern immer ein Teil des Lebens bleibt.