Kaum ein anderer Schriftsteller lässt sich so schwer in einen Satz einfangen wie Rolf Hochhuth. Und niemand hat so viel Polemik in Deutschland ausgelöst und weist die Politik derart selbstbewusst in ihre Schranken. Rolf Hochhuth ist im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar. Von Laura Rodríguez Knödler Hochhuth ist kein Schubladentyp, aber auch keiner, der bei „Sonstiges“ landet. Wenn schon, dann braucht er seine eigene Typisierungskommode.
Von Laura Rodriguez Knödler
Laura Rodriguez Knödler (Abitur 2013) besuchte Rolf Hochhuth im Juli 2012.
Touristen am Holocaust-Mahnmal in Berlin schauen über die 2711 Betonquader hinweg Richtung Osten und knipsen. Von hier aus sieht man den Fernsehturm, die Akademie der Künste, die amerikanische Botschaft und, nur an der Quadriga über den Dächern zu erkennen, das Brandenburger Tor. Gegenüber ein unscheinbares Haus mit acht Stockwerken, braune, Hauswand, rotes Ziegeldach. Die Wohnung im fünften Stock fällt aus der Reihe, sie ist die einzige, an deren Fenstern Blumen in weißen Kübeln wachsen. Die Wohnung gehört Rolf Hochhuth. Kompromisse gehören nicht zu seinem Wortschatz. Die etwas chaotischen Räume spiegeln ihn und sein Leben wider. Ist das seine Wohnung oder sein Büro? Ist Hochhuth Polemiker oder Aufklärer? Das ist es, was Hochhuth ausmacht: die Unfassbarkeit in Worten.
Auch nach tieferen Gesprächen bekommt man darauf keine Antwort. Rolf Hochhuth erzählt Anekdoten mit der Stimme eines Märchenonkels. Man hört ihm gerne zu, selbst wenn er sich aufregt. Dann wirkt er weder lächerlich noch übertrieben. Beim Lesen seiner Essays und Dramen stellt man sich unwillkürlich einen verbitterten und resignierten alten Mann vor, der sich über alles und jeden aufregt. Doch wenn er von den Ungerechtigkeiten unserer Zeit spricht, bleibt er überraschend ruhig und redet überlegt. Ganz so wie einer, der weiß, dass er vollkommen Recht hat und dass jeder ihm letzten Endes Recht geben wird. Nur einmal wird er lauter, als er mit seiner Assistentin diskutiert, wo die Papierservietten seien. Wie er es gesagt hatte: im oberen Küchenschrank.
„Prophet zu sein ist aber nicht mein Beruf“, fügt er schnell hinzu. „Aufklärer, das wäre das größte Kompliment, das man mir machen könnte. Dennoch ist jeder auf seine eigene Art albern und die größte Albernheit unserer Zeit ist Brüssel mitsamt der Europäischen Union. Ich war niemals Europäer, sondern immer Gaullist.“ Es müsse Freundschaft geben zwischen den europäischen Ländern und ökonomischen Austausch, aber feste Grenzen. „Glauben Sie mir, in 70 Jahren werden wir das Projekt Europa als misslungen abgestempelt haben.“
Hochhuth lässt einem gar keine Wahl, als hinter die gesellschaftlich akzeptierte Meinung zu schauen, zu hinterfragen, was die Medien als Konsens propagieren. Ein Beispiel: Kurz nach unserer Ankunft warnt Hochhuths Sekretärin im Spaß, er sei heute etwas streitlustig, habe er doch erst vor einer Stunde einen Brief von Marcel Reich-Ranicki erhalten. Anlass für Hochhuths Rage war die schriftliche Antwort des Literaturkritikers auf eine Bitte, nach 44 Jahren mal wieder ein Gedicht Hochhuths in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu veröffentlichen. Reich-Ranicki habe geantwortet, man solle die wiederholten Belästigungen aus Rücksicht auf sein Alter einstellen.
Mit unangenehmen Äußerungen zu Politik und Gesellschaft hat Hochhuth schon immer den Mächtigen und Wichtigen im Staat vor den Kopf gestoßen. Er hat oft unbequeme Ansichten und trotzdem ist er alles andere als revolutionär. Sein Bekenntnis zur Monarchie, auch der Erhaltung der Kunst wegen, und seine Äußerung, Francisco Franco sei der weiseste Mann des 20. Jahrhunderts gewesen, mögen sehr konservativ anmuten. Doch gleichzeitig tritt er für neue Medien wie Facebook, Twitter und Co. ein. „Es wäre doch furchtbar, wenn ihr das, was euch geboten wird, nicht nutzen würdet. Man lebt schließlich nur einmal.“ Sein eigenes Leben hat Hochhuth ganz dem Theater gewidmet. Mit 14 sieht er zum ersten Mal ein Drama, „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler. „Als ich rausging aus dem Theater, konnte ich nicht begreifen, wie ein Erwachsener etwas anderes machen konnte, als Theaterstücke zu schreiben.“ Seitdem schreibt er jeden Tag an Gedichten, Romanen, Essays und Dramen, trotz dem Bewusstsein, „dass mehr als drei Zeilen sowieso nicht gelesen werden“. Bleibt zu hoffen, dass von diesem „alten Mann mit einem schimpflichen Namen, der die Frechheit hat, noch zu leben“ mehr bleiben wird, als drei Zeilen.